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"In der Nische liegt die Kraft"

Die Wissenschaftlerin Nele Heise beobachtet, dass immer mehr Medienschaffende vom Podcasten leben können. Gefragt seien Podcasts mit ungewöhnliche Themen oder Format-Innovationen. Das Interview ist im Buch "Podcasts im Journalismus" erschienen.

Frau Heise, Sie forschen schon seit 2012 zum Thema Podcast – als noch fast niemand das Medium kannte. War Ihnen gleich klar: Da steckt Potential drin?

Als ich angefangen habe, gab es eine kleine, enthusiastische Podcast-Szene. Aber Podcast wurde nicht wirklich als eigenes Medium wahrgenommen. Eher als ein technischer Verbreitungsweg. Mich hat interessiert, Podcasting als kulturelles Phänomen zu untersuchen. Welche Communities sind da involviert, wie entwickeln sich die Inhalte und die Hörgewohnheiten?

Podcasts haben sich inzwischen als eigenes Medium etabliert. Gilt das auch für die Podcast-Medienforschung?

Es wird auf jeden Fall mehr geforscht und veröffentlicht. Relativ neu ist, dass Podcasts auch als journalistisches Medium betrachtet werden: Welche Genres gibt es, welche Rolle haben Hosts? In der Forschung spiegelt sich der Wandel, den Podcasts in den letzten Jahren vollzogen haben.

Was hat diesen Wandel getrieben? Gibt es ein Erfolgsgeheimnis?

Dahinter stecken diverse Faktoren: Öffentlich-Rechtliche Sender und Verlage haben Podcasts entdeckt und erhoffen sich dort neue Zielgruppen für ihre Medienmarken. Das hat dem Medium einen Professionalisierungsschub gegeben. Gleichzeitig haben Produktionen wie „Serial“ gezeigt, dass Podcasts investigativ, seriös und zugleich unterhaltsam sein können. Dazu kommt die rasante technische Entwicklung: Heute prägen Streamingplattformen das Nutzungsverhalten und machen es den Hörern viel einfacher als die früheren Podcatcher, Angebote zu finden und zu abonnieren.

Heute spricht man von einem regelrechten Kampf der Plattformen. Ob Audible, Amazon oder Spotify: Jeder will das „Netflix für Audio“ werden…

Das verändert die Szene enorm. Spotify hat zum Beispiel mehrere Podcast-Produktionsfirmen aufgekauft. Die Plattformen machen auch mehr Werbung für ihre Originals als freie Podcaster bisher. Das trägt dazu bei, dass Podcasting bekannter wird bei Nutzerinnen und Nutzern im Netz.

Mit dem „Coronavirus-Update“ von NDR Info gibt es seit 2020 zum ersten Mal einen deutschen Podcast, der so etwas wie ein Leitmedium geworden ist.

Spannend finde ich auch, dass dieser Wissenschaftspodcast endlich mal die Zielgruppe der Über-50-Jährigen knackt. Bisher war die Podcast-Szene wegen der technischen Hürden von einem jüngeren Publikum geprägt. Deswegen gibt es diese typischen Talkformate oder Personality-Podcasts von YouTubern. Die Hörerinnen und Hörer über 50, für die Informationsgehalt und Sachlichkeit wichtige Aspekte sind, wurden bisher vernachlässigt. Spannend ist auch, dass das „Coronavirus-Update“ etwas geschaffen hat, was die Medienwissenschaft einen „Lagerfeuer-Moment“ nennt: Gefühlt hat jeder zumindest mal reingehört und redet darüber, egal ob beim Friseur oder auf der Arbeit. Das „Coronavirus-Update“ ist also in mehrfacher Hinsicht ein einzigartiges Format. Keine der Kopien, die nach dem Vorbild von NDR Info entstanden sind, konnten an diesen Erfolg anknüpfen.

Dass überhaupt kopiert wird, zeigt ja auch, wie hart die Konkurrenz inzwischen ist.

Lange Zeit war es kaum möglich, mit Podcasts Geld zu verdienen. Inzwischen gibt es ein entsprechendes Werbeumfeld und Auftragsproduktionen, die Macherinnen und Machern ein festes Einkommen garantieren. Dabei gilt das Motto: In der Nische liegt die Kraft. Gefragt sind ungewöhnliche Themen oder Format-Innovation. Inzwischen gibt es aber auch „Mainstream-Podcasts“ – meist rund um prominente Hosts oder große Medienmarken.

Der Anfangsgeist, der etwas von einer Graswurzelbewegung oder Bürgerjournalismus hatte, ist verloren gegangen?

Nicht unbedingt. Es gibt immer noch aktive Communities und Nischen, zum Beispiel im Bereich Technik und Wissenschaft. Es ist eine Co-Existenz, aber die Gewichte verschieben sich. Das sieht man zum Beispiel am Deutschen Podcast Preis, da sucht man kleine, unabhängige Produktionen oft vergeblich.

Kommt jetzt der Moment für Konsolidierung? Oder auch für eine Kuratierung durch Redakteurinnen und Redakteure, die besonders starke Formate hervorheben müssen?

Für Nutzerinnen und Nutzer ist das Angebot schlicht nicht mehr überschaubar. Es gibt zwei Ansätze, darauf zu reagieren: Entweder man verlässt sich auf den Algorithmus der Plattformen und lässt sich passende Inhalte vorschlagen. Aber es gibt auch eine starke Kultur von persönlichen Empfehlungen: In einem Podcast wird für einen anderen geworben. Daneben etabliert sich langsam eine Rezensionskultur, zum Beispiel im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung. Das ist eine ähnliche Entwicklung wie es sie zuvor bei Fernsehserien gab.

Was weiß man über die Bedürfnisse der Hörerinnen und Hörer? Sind Podcasts im Gegensatz zu TikTok oder Twitter ein Format der Vertiefung und Entschleunigung?

Wenn man sich Nutzungsstudien wie den Online Audio Monitor anschaut, sieht man, dass Autonomie ein wichtiger Faktor ist: Hören was man will und wann man will – das ist die Stärke von Podcasts. Die Hauptmotivation aber ist die Tiefe. Das man dort Dinge zu hören bekommt, die es anderswo nicht gibt. Und das trifft in gewisser Weise auch auf die sogenannten „Laber-Podcasts“ zu: Solche ungerichteten Gespräche mit Alltagsbezug findet man nur im Podcast.

Aber das wird doch irgendwann langweilig?

Das ist ein typischer Einwand von professionellen Medienmenschen. Aber die Nutzerinnen und Nutzer sind souverän, die finden einen Weg, auch lange Podcasts in ihren Alltag einzubetten. Die wissen, was eine Pausentaste ist. Ich kann ja eine Show jederzeit unterbrechen und später weiterhören.

Welche Rolle spielt dabei soziale Interaktion vor allem die Identifikation mit dem oder der Host?

Ich zeige in meinen Vorträgen oft ein Bild, wo jemand vor einer Eisbox sitzt, auf der drei Frauen beim Eisessen abgebildet sind. Er sitzt davor, isst selbst ein Eis und freut sich mit denen. So kann sich Podcasthören anfühlen. In der Kommunikationswissenschaft nennt man das „Para-Sozialität“, also eine gefühlte Verbindung zu Medienprotagonisten…

…die man aber anders als im Fernsehen nicht sieht.

Das kann den Effekt sogar verstärken. Die Hosts im Podcast sind auf ihre Stimme reduziert. Man muss beim Hören Fantasie entwickeln und gleichzeitig kommen einem die Inhalte durch die Kopfhörer ganz nahe. Durch diese Kombination entsteht ein spezieller Sog und eine besondere Beziehung zum Host. Wie stark dieser Effekt ist, hängt aber auch vom Format ab. Bei einem Gesprächsformat baut man vermutlich eine stärkere Beziehung auf als bei einem Nachrichtenformat.

Welche Rolle spielt die Beziehung zur Hörerschaft, das Community-Building?

Podcasts, die keine großen Medienhäuser im Rücken haben, leben von der Beziehung zum Publikum. Es ist üblich, um Feedback zu bitten, auf Social Media zu interagieren, oder Hörerfolgen zu machen, in denen Fragen beantwortet werden. Die Hierarchie ist durchlässiger als bei klassischen Medien. Dadurch haben die Hörerinnen und Hörer das Gefühl, dass sie wahrgenommen werden – ich nenne das „Interaktion auf Ohrenhöhe“. Wenn diese Nähe da ist, kann man die auch nutzen und zum Beispiel um eine Weiterempfehlung bitten oder um eine gute Bewertung auf Plattformen.

Verdrängt die Nutzung von Podcasts andere Medien?

Wir haben alle nur ein begrenztes Zeitbudget, um Inhalte zu konsumieren. Aber durch die mobile und zeitlich unabhängige Nutzung entstehen neue Zeitfenster: Ich kann zum Beispiel beim Abwaschen Podcasts hören oder beim Sport. Hier stehen Podcasts in Konkurrenz zum Musikhören.

Podcasts werden oft als Konkurrenz zum Radio gesehen. Doch könnte man es nicht auch anders sehen, dass Podcasts zum Beispiel das Radio verändern und bereichern?

Ich hoffe sehr, dass einige Dinge, die ich an Podcasts schätze, sich auch in etablierten Medien durchsetzen. Dort gibt es zum Beispiel mehr weibliche Stimmen und Macherinnen. Auch People of Colour und andere marginalisierte Gruppen kommen in Podcasts öfter zu Wort. Ein anderer Aspekt ist, dass einige aufwendige Podcastformate mit Techniken arbeiten, die wir bisher vor allem aus Radio-Features kennen: Storytelling, Atmosphäre, serielles Erzählen. Da entstehen neue Erzählformen, die auch das ganz alltägliche Radio verändern werden.

Welche Trends sehen Sie für die Podcast-Entwicklung der kommenden fünf Jahre?

Was ich mit Sorge beobachte, ist die zunehmende Macht von Plattformen wie Spotify. Es ist wichtig, dass die RSS-Technologie als unabhängiger Übertragungsstandard erhalten bleibt und weiterentwickelt wird, so wie es zum Beispiel die BBC für Großbritannien macht. Dazu braucht es Druck auf der Produktionsseite, aber auch Hörerinnen und Hörer sollten ein Bewusstsein für die Rolle der Plattformen entwickeln. Bei Spotify zum Beispiel werden Podcaster für ihre Inhalte nicht bezahlt - was natürlich ein Unding ist. Eine der drängendsten Fragen der nächsten fünf Jahre ist: Wie können sich Menschen finanzieren, die mit Podcasts ihren Lebensunterhalt verdienen wollen?

Im Moment erscheinen unglaublich viele neue Podcasts. Wird das so weitergehen?

Es gibt sicher eine Art Corona-Faktor bei dem Podcast-Boom. Beim Nutzerverhalten, aber auch bei den Macherinnen und Machern: Während der Krise waren bestimmte Veranstaltungen nicht möglich, da lag es für Prominente nahe, einen Podcast zu starten. Wenn der Konkurrenzdruck größer wird und die Reichweiten sinken, wird sich da einiges ausdünnen. Ich glaube, damit Podcasts auf Dauer interessant bleiben, muss in die Qualität der Formate investiert werden. Vor allen Dingen in die Ideenentwicklung: Was ist ein interessanter Ansatz, den es noch nicht gibt? Was sind spannende Stoffe? Wie nutze ich die besondere Qualität von Audio? Diese Fragen werden uns in Zukunft beschäftigen.