eins studio Blog

"Es geht nicht um Reichweite, sondern um Leser-Blatt-Bindung"

Laura Terberl hat das Audioteam bei der Süddeutschen Zeitung aufgebaut. Warum Podcasts nicht in Konkurrenz zur klassischen Zeitung stehen, sondern neue Zielgruppen erschließen, erklärt sie im Gespräch. Das Interview ist im Buch "Podcasts im Journalismus" erschienen.

Frau Terberl, wie sind Sie zum Podcasten bei der "Süddeutschen Zeitung" gekommen?

Ich habe bei der SZ volontiert und war dann im Videoteam. Als es 2017 mit den Audioinhalten losging, bin ich in die Podcastentwicklung eingestiegen. Was gut gepasst hat, weil ich schon vorher eine Ausbildung als Moderatorin gemacht habe.

Mit welchem Projekt sind Sie damals eingestiegen?

Es gab die große Recherche zu den Panama Papers. Das war ein Riesenprojekt, für das es auch ein eigenes Budget gab. Das hat es leichter gemacht, diese viele Arbeit in einen Podcast zu stecken. Und weil diese fünf Folgen so gut liefen, haben wir weitergemacht.

Sie haben also eine eigene Podcast-Redaktion gegründet?

Nicht wirklich. Es gab erstmal nur mich und einen Praktikanten, der dann mein erster Mitarbeiter wurde. Und von da an sind wir immer weitergewachsen.

Wie ergänzen sich Print und Audio-Inhalte in Ihrer Strategie?

Der Übergang von Print zu Podcast ist viel einfacher als zum Video. Unsere Reporterinnen und Reporter können von einer spannenden Recherche erzählen und man vermisst das Bild nicht. Die Bilder entstehen im Kopf. Auch die technischen Hürden sind viel geringer: Reporter bringen eher ein anständiges Audio mit als ein perfektes Video.

Aber ist ein Podcast nicht langweilig, wenn ich schon den Artikel dazu gelesen habe?

Ich finde, durch die lockere Gesprächsatmosphäre und die Ich-Perspektive kommt eine ganze neue Ebene dazu. Mit meinen Fragen bringe ich als Host die Redakteurinnen und Redakteure in einem Talkformat dazu, ihren Inhalt nochmal einfacher zu erklären.

Haben die Kolleginnen und Kollegen denn darauf Lust?

Viele hatten am Anfang vor allem mit der Ich-Perspektive Probleme und haben gesagt: Das ist doch nicht objektiv. Ich finde, man kann persönlich sein, aber trotzdem neutral und transparent. Im Idealfall kommt rüber, warum einem eine Recherche besonders am Herzen liegt, oder welche Wendungen der Rechercheweg genommen hat. Wenn der Autor oder die Autorin als Menschen erfahrbar werden, bleiben die Folgen im Gedächtnis.

Sind Sie schon in die Konzeption einer großen Recherche eingebunden, um den Audiokanal bestmöglich zu entwickeln?

Mittlerweile melden sich auch Redakteurinnen und Redakteure bei uns, wenn sie an größeren Themen arbeiten. Aber wir sprechen auch Korrespondenten an und fragen: Woran arbeitest du gerade? Oder wir schlagen selbst Themen vor und fragen: Hast du Lust, für uns zu recherchieren? Diese Mischung hat sich bewährt. Sonst hätten wir immer dieselben Redakteure in unseren Podcasts.

Woran liegt das?

Ich will das nicht bewerten, aber ich habe anfangs schon gemerkt, dass uns eher männliche Kollegen ansprechen. Die erkannt haben, dass ein Podcast Arbeit macht, sich aber für ihre Sichtbarkeit in der Redaktion lohnt. Die Frauen waren zu Beginn zurückhaltender und haben öfters gesagt: Das schaffe ich nicht auch noch. Da haben wir ein bisschen gegengesteuert, was auch gut geklappt hat.

Wie stark bearbeiten Sie die Kollegengespräche für die Podcasts?

Ich bin der Meinung, dass Schnitt jedes Gespräch besser macht. Wir investieren bewusst Zeit in die Bearbeitung, um die Formate auch für Kolleginnen und Kollegen zu öffnen, die eben nicht druckreif sprechen.

Arbeiten Sie auch mit O-Tönen?

Da waren wir am Anfang unglaublich ambitioniert, haben aber gemerkt, dass Aufwand und Nutzen nicht immer im Verhältnis stehen. Bei dem Podcast "Das Thema" wechseln wir inzwischen ab: Manchmal investieren wir viel Arbeit in ein Audiofeature, zum Beispiel über das Oktoberfestattentat. Für andere Themen reicht ein guter Talk. Dann investieren wir unsere Zeit lieber in ein ausführlicheres Vorgespräch als in eine O-Ton-Recherche.

Finden Sie es schwer, auf dem wachsenden Podcastmarkt noch Nischen und Publikum zu finden?

Wir haben den Vorteil, dass wir schon 2017 angefangen haben, als die Konkurrenz noch kleiner war. Inzwischen sind die Ansprüche definitiv gestiegen. Aber wir sind mit der Zeit auch besser geworden.

Was für Feedback bekommen Sie von den Nutzerinnen und Nutzern?

Wir bekommen extrem positive Rückmeldungen. Klar, nicht jeder kann alle Podcasts hören. Viele machen das vom Thema abhängig. Unser Ziel ist es, dass unsere Podcasts zur täglichen Routine werden – wie Zeitung lesen.

Haben Sie deswegen den täglichen Nachrichtenpodcast „Auf den Punkt“ entwickelt?

Genau. Wir wollen Podcasts als Nachrichtenquelle etablieren. Und das funktioniert. Wir sehen an den Zahlen, dass Menschen ihre Abend- oder Morgenroutine um den Podcast herum entwickeln – sie hören uns auf dem Weg nach Hause oder beim Zähneputzen. Wenn der Podcast von der Länge und Anmutung zu diesen Situationen passt, erzeugt das eine unglaubliche Nutzerbindung. Es ist keine Konkurrenz zur Zeitung, sondern eine Ergänzung für neue Zielgruppen.

Die New York Times nutzt unter anderem Podcasts, um ihr bezahlpflichtiges Onlineangebot attraktiv zu machen. Ist das ein Erfolgsrezept?

Was die New York Times macht, ist toll, aber es ist schwierig, sich damit zu vergleichen. Es gibt kein anderes Print-Medienhaus, das sich so ein großes Audio-Team leistet. Dagegen ist mein Team winzig und es wäre frustrierend, sich mit deren Produktionen zu messen. Spannend finde ich aber den Trend, der sich zum Beispiel in der New York Times und bei Streamingdiensten zeigt: dass sich Podcast über Onlineabos monetarisieren lassen.

Lohnen sich Podcasts aus Ihrer Sicht auch für kleinere Lokalzeitungen?

Ich finde es toll, wie viele kleine Verlage mit Podcasts experimentieren. Meine Sorge ist, dass das oft neben der normalen Arbeit passiert und nicht wirklich eingeplant und finanziert ist. Das wäre nicht nachhaltig. Und man sollte realistisch bleiben: Als regionale Zeitung mit überschaubarem Marketingbudget erreicht man keine Rekord-Abrufzahlen auf den Plattformen. Das ist aber nicht schlimm. Es geht nicht um Reichweite, sondern um Leser-Blatt-Bindung. Dafür können Podcasts ein super Mittel sein, weil sie die Identifikation mit den Zeitungsmachern stärkt.

Gab es Überlegungen, mit einer Agentur zusammenzuarbeiten, statt sich das Podcast-machen selbst beizubringen?

Wir haben am Anfang mit einer Podcast-Produktionsfirma zusammengearbeitet. Aber das war abspracheintensiv und nicht billig. Und wir hatten das Glück, dass die SZ schon ein Tonstudio hatte. Die Infrastruktur war also da, wir mussten nur ein paar Mikros nachrüsten und in Schnitttechnik investieren – und dabei konnte uns die Agentur gut unterstützen. Seit 2018 machen wir alle Schritte der Podcastproduktion im Haus. Damit sind wir auch flexibler, wenn zum Beispiel ein Interview wegen eines Abgabeschlusses für einen Artikel verschoben werden muss. Und es hat den Vorteil, dass wir nach und nach zu Expertinnen und Experten für akustisches Erzählen geworden sind. Das Wissen haben wir jetzt im Haus und müssen es nicht zukaufen.

Haben Sie dabei auch Fehler gemacht und Lehrgeld bezahlt?

Definitiv! Das lief alles unter dem Motto "Failing Forward". Ich habe erst im Nachhinein gemerkt, wie viel Expertise es schon bei uns im Haus gegeben hätte. Ich habe mir zum Beispiel selber Podcast-Marketingstrategien ausgedacht, statt einfach mal bei unserem Social Media Team zu fragen. Das würde ich heute anders machen: Früher auf Leute zugehen und aktiv nach Hilfe fragen.