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"Wir schreiben nicht lange an Konzepten - wir wollen aufnehmen und ausprobieren"

Der erste Schritt zu einer großen Story ist eine simple Frage. Bei dem erfolgreichen Storytelling-Podcast “Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen?” war das nicht anders. Tobias Bauckhage, Co-Gründer von Studio Bummens, spricht mit uns über die Hintergründe der Produktion. Und erklärt, warum bei der Entwicklung neuer Talkformate der Host im Mittelpunkt stehen sollte. Das Interview ist im Buch "Podcasts im Journalismus" erschienen.

Herr Bauckhage, Sie kommen ursprünglich aus der Filmbranche. Was hat Sie dazu gebracht, die Podcast-Schmiede "Studio Bummens" zu gründen?

Mein Partner Jon Handschin und ich lebten vor der Gründung mehrere Jahre in den USA und haben dort den Podcastboom miterlebt, der 2014 mit "Serial" begann. Das war ein narrativer Blockbuster, der gezeigt hat, welches Reichweitenpotential Podcasts haben und was für erzählerische Mittel da drinstecken. Wir hatten früher eine Filmproduktionsfirma und einen Filmverleih. Damals haben wir gemerkt, dass man mit Audio ähnliche Dinge machen kann – mit einem Bruchteil an Geld und Aufwand, der in Filmen steckt.

Ihr Mitgründer Konstantin Seidenstücker hatte Erfahrungen mit Auftragsproduktionen für Spotify, Sie in Startups und der Filmindustrie. Wie heißt das für die Ausrichtung von "Studio Bummens"?

Unsere Vorbilder sind US-Amerikanische Podcaststudios wie "Gimlet" oder "Pineapple Street Studios". Dort ist Mainstream - anders als hier in Deutschland - kein Schimpfwort. Wir wollen hochqualitative Podcasts machen, die viele Menschen erreichen. Auftragsproduktionen für Plattformen sind ein wichtiges Standbein für uns. Unser Schwerpunkt liegt aber auf Eigenproduktionen, wo wir und die Künstler die Vermarktungsrechte behalten und dafür das wirtschaftliche Risiko selbst tragen.

Von Ihnen stammt der Doku-Podcast "Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen?", Sie machen aber auch viele Talkformate. Ist das auch eine wirtschaftliche Entscheidung?

Auf jeden Fall. Formate wie "Cui Bono" sind unglaublich aufwendig und teuer. Es ist schwer, damit in einem kleinen Markt wie Deutschland Geld zu verdienen. Deswegen brauchen wir in unserem Portfolio auch weniger aufwändige Podcasts mit hoher Reichweite. Wobei auch dort unser Anspruch gilt, erstklassige Unterhaltung und Qualität abzuliefern.

Viele Ihrer Formate haben prominente Hosts, zum Beispiel Heinz Strunk, Klaas Heufer-Umlauf oder Toni Kroos. Wie beziehen Sie die bei der Formatentwicklung mit ein?

Meine Überzeugung ist, dass sich bei Podcasts die Authentizität des Hosts ganz stark transportiert. Das liegt am Hören über Kopfhörer und auch daran, dass uns Podcasts in intimen Situationen begleiten, zum Beispiel beim Aufwachen. Jede Show, die wir machen, ist auf die Person fokussiert, die vorm Mikrofon sitzt und die Inhalte rüberbringt.

Das heißt, Sie entwickeln nicht ein Format und suchen dann den passenden Host, sondern Sie gehen vom Host aus?

Es ist eher die Ausnahme, dass wir am Schreibtisch eine Idee entwickeln und dann den passenden Moderator dafür suchen. In den meisten Fällen beginnt es damit, dass wir mit einem Künstler zusammensitzen und fragen: Was wäre spannend? Was würdest du gerne ausprobieren? Dabei ist es egal, ob das bekannte Namen wie Micky Beisenherz oder Bettina Rust sind oder unbekannte Leute. Auch wenn wir von einem Thema ausgehen, ist es wichtig, dass der Host schon in der Anfangsphase mit dazu kommt.

Wie war das bei "Cui Bono"?

Da wollten wir jemanden, der wirklich in der Geschichte drin ist, der für das Thema persönlich brennt. Khesrau Behroz ist ideal, weil er die Karriere von Ken Jebsen über Jahre begleitet hat, aber trotzdem neutral und investigativ agieren kann.

"Cui Bono" sticht schon durch die aufwendige Produktion aus der Masse heraus. Wie werden Talkformaten unverwechselbar?

Auch hier ist die Authentizität der Schlüssel. Ein prominenter Name ist kein Garant dafür, dass Menschen eine halbe Stunde zuhören. Unser Vorgehen ist iterativ: Wir schreiben nicht lange an Konzepten, sondern versuchen möglichst schnell, etwas aufzunehmen und auszuprobieren.

Sie arbeiten also mit Dummys?

Dummy wäre fast schon zu viel gesagt. Wir nehmen etwas auf, hören uns das an, schneiden mehrere Varianten zusammen und schauen dann: Was klappt? Was klappt nicht?

Also finden Sie Formatkonzepte übers Machen?

Das liegt auch an unseren Erfahrungen mit Softwareentwicklung: Dort ist man schon lange weg von dem Gedanken, dass man erstmal was auf Papier bringt und dann wird es immer kleinteiliger ausgetüftelt. Bestimmte Sachen findet man schneller übers Machen und Hören heraus.

Funktioniert dieser iterative Ansatz auch bei komplexen Produktionen wie "Cui Bono"? Da waren zwei Rundfunkanstalten und mehrere Produktionsfirmen beteiligt…

Viele Projektbeteiligte sind erst im Laufe der Zeit
dazugekommen. Los ging es damit, dass wir zusammen mit Louis Klamroth und seiner Produktionsfirma K2H einen Reportage-Podcast über die Coronazeit gemacht haben. Ein Thema darin waren die Hygienedemos und irgendwann auch Ken Jebsen. Wir haben uns unterhalten, weil ich Ken Jebsen noch aus den späten 90er-Jahren kannte. Und dabei kam sprichwörtlich die Frage auf: "What the fuck happened to Ken Jebsen?". Daraus haben wir bei Studio Bummens ein Konzept von zwei, drei Seiten entwickelt und damit sind wir dann zu den Rundfunksendern gegangen. Später kam dann ein Team von investigativen Journalisten dazu, die auch Töne recherchiert haben. Aus all dem entstand der erste Entwurf für die erste Folge. Ich glaube, letztlich haben wir für jede der sechs Episoden aber zehn bis zwölf vollständige Iterationen gebraucht.

Das ist ein Aufwand, der aber nur für zeitlich begrenzte Serien möglich ist, oder?

So etwas kann man nicht im Regelbetrieb machen. Wir haben uns kurz nach der Gründung unserer Produktionsfirma in New York mit Leuten von "Gimlet" und "Pineapple Media" getroffen und geschaut, wie die Podcasts produzieren. Ich erinnere mich noch an einen Satz von Joel Lovell, der als Chefredakteur für "Serial" und "S-Town" gearbeitet hat: "There are no Shortcuts". Am Ende sind es die Iterationen, die die Qualität bringen. Genau sein, nicht aufgeben, versuchen, es noch besser zu machen. Es Leuten vorspielen, Störgefühlen nachgehen, neu aufnehmen. So machen "Gimlet" und "Pineapple" in den USA erfolgreiche Podcasts. Die gute Nachricht dabei ist: Es funktioniert. Die schlechte Nachricht ist: Es ist sehr aufwendig und lässt sich nicht abkürzen.

Und es wird auch nicht besser, je mehr Erfahrung man hat?

Ich habe früher mal als Unternehmensberater bei der Boston Consulting Group gearbeitet. Das war extrem arbeitsintensiv. Aber so viele Nachtschichten wie bei "Cui Bono" habe ich dort nie gemacht. Natürlich haben wir dazugelernt: Wie man Abstimmungsrunden besser definiert, wie man Materialien sortiert oder eine Musikkomposition in Iterationen erarbeitet. Aber die Haupterkenntnis ist: "It takes a village." Es braucht viele Leute mit unterschiedlichen Blickwinkeln und es braucht auch die Zeit, Sachen mal ein paar Tage liegen zu lassen, damit du wieder einen frischeren Blick darauf bekommst.

War "Cui Bono" der Durchbruch? Werden wir in Zukunft mehr dokumentarisches Storytelling hören?

"Cui Bono" hat gezeigt, dass man mit solchen Formaten Aufmerksamkeit bekommt. Ich denke, das wird auch andere Podcastfirmen inspirieren. Aber es bleibt aufwendig und solche seriellen Formate werden erstmal Leuchttürme bleiben, die man bewusst setzt. Aber der Markt entwickelt sich. Uns haben viele Menschen geschrieben, die über "Cui Bono" zum Podcasthören gekommen sind und die jetzt fragen: Wo gibt es mehr in der Art?