Jochen, du bist Autor für Deutschlandfunk Kultur und die ARD, produzierst aber auch Podcasts. Wie bist du vom Radio zum Podcasten gekommen?
Ich habe Hörfunk im Master studiert, bin also ausgebildeter Radiojournalist. Mit dem Studium war ich 2011 fertig. Damals war ich noch total begeistert vom künstlerischen Radiofeature. Als ich dann zur Deutschlandfunk Kultur-Sendung „Breitband“ gekommen bin, — eine Sendung mit sehr starkem digitalen Schwerpunkt — haben wir schon ganz früh darüber nachgedacht, online auszuspielen. So war mir das Medium Podcast sehr nahe. Interessanterweise wurden dann plötzlich genau die Qualifikationen gesucht, die ich hatte; also meine journalistische Ausbildung, aber auch technische Kenntnisse, dass ich mich mit Mikrofonen auskenne, remote aufnehmen kann, produzieren kann. Diese Mischung war total gefragt, weil man beim Podcasting oft zwischen inhaltlicher Gestaltung und Produktion steht.
Müssen Podcasts anders klingen als Radio?
Radio klingt oft nicht so intim. Und ich glaube, auch die sozialen Beziehungen, die man mit PodcasterInnen aufbaut, sind stärker. Podcasts werden häufig übers Smartphone gehört, mit Kopfhörern. Radio – das wird doch eher auf der Baustelle laut abgespielt oder bei einer Autofahrt mit mehreren Leuten. Tatsächlich habe ich noch nie mit Leuten zusammen im Auto gesessen und einen Podcast gehört. Andererseits: Ein gutes Radiointerview, das sehr persönlich geführt wird, kann als Podcast genauso wirken.
Hast du hierfür ein Beispiel?
Ich produziere eine Sendung für Deutschlandfunk Kultur, die „Plus Eins“ heißt. Die wird am Freitag als Podcast ausgespielt und am Sonntag dann als Radiosendung mit Musik dazwischen. Das heißt, wir nehmen einmal auf und denken in zwei Formaten. Bei der Sendung achte ich darauf, dass ich nicht so viel Produktionsmusik unter der Sprache verwende. Hört man die Sendung im Radio, könnte man sonst meinen, das nächste Musikstück finge an. Bei Podcasts eignet sich Produktionsmusik wiederum gut, um inhaltlich zu strukturieren und um ein bisschen Stimmung aufzubauen.
Es gibt also viele inhaltliche Gemeinsamkeiten bei Radio und Podcast. Worin unterscheidet sich deine Vorbereitung für eine Sendung, auch mit Blick auf die Teamarbeit?
Ich habe vergangenes Jahr ein Projekt für die Bundeszentrale für politische Bildung umgesetzt, da waren viele Investigativjournalist*innen im Team, viele Freie. Wir haben komplett digital gearbeitet und die Interviews in Web-Meetings gemeinsam vorbereitet. So ein Team relativ spontan zusammenzuwerfen, gerade aus lauter Freien, würde in einem öffentlich-rechtlichen Sender länger dauern und komplizierter sein. Im Moment fühlt es sich so an, als gäbe es beim Podcasten mehr Möglichkeiten.
Gibt es ein Podcastformat, das du besonders spannend findest?
„Narcoland“ von der Aachener Zeitung hat mich überrascht. Ein Recherche-Podcast, der versucht, den Meth-Kartellen hier bei uns im Dreiländereck Belgien, Niederlande und Deutschland nachzuforschen. Die Aachener Zeitung ist eine Lokalzeitung. Investigativjournalismus ist nicht gerade ihr Kerngebiet. Das ist ein Beispiel dafür, dass man sich mit Podcasts immer noch mutig aus dem Fenster lehnen kann und damit Erfolg haben kann. Es ist gar nicht so wichtig, dass bei der Recherche Wahnsinnsergebnisse herauskommen, sondern, dass es eine gut erzählte Geschichte ist, die in deiner Gegend spielt und gleichzeitig das große Bild aufmacht. Denn alles, was regional ist, ist heute auch global. Wenn wir über Meth-Kartelle in Aachen sprechen, dann könnten wir die Geschichte weiterverfolgen bis nach Mexiko.
Radio ist zumindest bei der ARD immer regional und wird anders moderiert, da Leute mittendrin zuschalten. Haben Radioinhalte eine kürzere Lebensdauer?
Ja, ich glaube, dass Radio in der aktuellen Berichterstattung viel besser funktioniert. Radio ist eben ein Live-Medium. Es gibt aber auch gute Beispiele für aktuelle Podcasts. Ich höre zum Beispiel gerne „The Intelligence" vom Economist. Das ist ein tagesaktuelles Format – aber eben nicht „Breaking News“. Im besten Fall kann ein Podcast ganz lange tragen. Ich finde zum Beispiel „Reflektor“ von Viertausendhertz ist so ein Podcast. Darin wird thematisiert, wie ist es, erfolgreich zu werden und im Vordergrund zu stehen. Ein zeitloses Thema.
Radio kann ja maximal 24 Stunden senden, dann ist der Tag voll. Zeit ist also knapp. Ganz anders beim Podcasting. Beim Interview-Podcast „Alles gesagt“ von der Zeit kann eine Folge acht Stunden lang sein. Wie gelingt es, Podcasthörer so lange zu fesseln?
Ich glaube, das hat etwas mit Intimität zu tun. Du denkst: Okay, ich bin voll dabei, ich sitze mit den Hosts und ihren Gästen in der Küche und höre wirklich zu. Und ich merke, mal ist es spannend, mal ist es nicht spannend, mal nimmt das Gespräch wieder an Fahrt auf. Während der Aufnahme wird auch mal Wein getrunken und man kommt den Interviewpartnern nahe und immer ein bisschen näher. Trotzdem bin ich der Meinung, dass die meisten Podcasts nicht länger als 45 Minuten lang sein müssen. Ein Langformat muss einen guten Grund haben, warum es so lang ist. Ich mag es überhaupt nicht, wenn Podcasts in den ersten 20 Minuten mir noch nichts erzählt haben. Warum sollte ich weiter hören? Ich finde, man sollte auch immer respektvoll mit der Zeit der Menschen umgehen.
Zeitlich sicherlich auch aufwändig sind Produktionen wie „Cui Bono: WTF happend to Ken Jebsen?“. Werden wir in Zukunft immer mehr durchproduzierte, blockbusterartige Podcasts hören, die viel aufwendiger produziert sind als die meisten Radiosendungen?
Ja, ich denke schon. Hier wird vor allem das serielle Erzählen im Podcast vorangebracht. Das serielle Erzählen ist etwas, was wir bei immer mehr Medien beobachten können – vor allem natürlich bei Netflix und anderen Videodiensten. Es gibt mittlerweile Generationen, die mit diesem Seriellen aufgewachsen sind. Es ist das, was sie kennen. Das klassische Studiohörspiel oder das Radiofeature sagt den meisten nicht mehr viel, weil sie mit Audio eher über Podcast in Berührung gekommen sind.
Das klingt alles so, als sei Podcasting mehr als ein Hype. Oder etwa doch?
Ich glaube fest daran, dass Podcasting nicht nur ein Hype ist. Der Podcast hat seinen Platz in der Medienwelt längst gefunden.