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"Die erste Frage sollte überraschen, vielleicht sogar provozieren"

Markus Tirok hat über 3.000 Interviews geführt und weiß, worauf es bei der Moderation ankommt. Authentizität und Dramaturgie gehören neben der richtigen Fragestellung zum Kern jedes guten Gesprächs. Als Gründer der Plattform Interviewhelden vermittelt er Skills aus TV, Podcasting und Journalismus. Das Interview ist im Buch "Podcasts im Journalismus" erschienen.

Herr Tirok, Sie trainieren nicht nur Podcast-Hosts, sondern auch Moderatorinnen und Moderatoren für Veranstaltungen oder Videoformate. Worauf kommt es beim Podcasten an?

Die Herausforderung ist, dass man beim Podcasten – anders als bei einer Live-Konferenz - die Zielgruppe nicht vor Augen hat. Deswegen vergisst man schnell, dass ein Interview mehr als ein Gespräch zwischen zwei Menschen ist. Die Hörerinnen und Hörer muss man immer mitbedenken, auch wenn sie nicht sichtbar sind.

Aber ist die Stärke des Mediums nicht gerade die Intimität? Dass man das Gefühl hat: da unterhalten sich zwei Menschen ganz ohne Filter?

Podcasts sind definitiv ein Medium der Nähe. Wenn mir jemand über die Kopfhörer ins Ohr flüstert, komme ich ihm nahe. Aber die Nähe zwischen Host und Gast darf nicht zum Insiderkreis werden. Sonst fühlen sich die Zuhörerinnen und Zuhörer ausgeschlossen. Und das Gespräch muss - anders als ein Party-Gespräch in der Küche - einer Dramaturgie folgen. Sonst hat das Gespräch für die Hörenden keinen Mehrwert.

Wenn jemand zu Ihnen kommt und sagt: Ich kann als Host aus meinem Podcast noch mehr rausholen. Wie gehen Sie vor?

Es ist eine Arbeit auf verschiedenen Ebenen. Wir schauen uns Fragestellung und Dramaturgie am, aber auch die Moderationspersönlichkeit. Und da wird es sehr individuell, weil Authentizität beim Podcasten so wichtig ist.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Ich hatte kürzlich eine Kundin, die hat sich gut vorbereitet und hatte eine tolle Stimme. Aber als ich ihre Interviews angehört habe, klang alles gleich. Es stellte sich dann raus, sie war vorher als Musicaldarstellerin aktiv und hatte sich da so eine Art Dauergrinsen antrainiert. Beim Hören wirkte das nicht ansprechend, sondern eher distanziert und aufgesetzt.

Erstaunlich, was Podcast-Nutzerinnen und -Nutzer für feine Antennen haben…

Ich habe das mal in einem Seminar getestet. Die Teilnehmenden sollten nach einem 30-sekündigen Ausschnitt aus einer Aufnahme angeben, was sie für einen Eindruck von der Sprecherin oder dem Sprecher haben. Wie alt, was für ein Typ, etc. Die Antworten waren erstaunlich identisch. Und auch zutreffend.

Man sollte als Podcaster also möglichst viel von seiner Persönlichkeit preisgeben?

Unbedingt! Das heißt aber nicht, dass Podcasts eine Ego-Show sein müssen. Niemand will wissen, was Sie gefrühstückt haben. Persönlich heißt nicht privat – das wird oft verwechselt. Es geht darum, sich zu zeigen, durchlässig zu sein, aber dabei trotzdem professionell zu sein.

Was heißt das für die Sprache? Darf die dann auch umgangssprachlich sein?

Ich würde niemals einem Host das perfekte Hochdeutsch eines Nachrichtensprechers antrainieren. Klar, man sollte nicht extrem nuscheln oder zu schnell sprechen. Aber regionale Dialekte und individuelle Sprechstile darf und soll man im Podcast hören.

Bedeutet Authentizität auch: Ich schreibe mir vorher keine Fragen auf, sondern lasse mich spontan durch das Gespräch treiben?

Definitiv nein! Ich arbeite seit 30 Jahren als Moderator und ich formuliere meine Fragen immer noch aus. Ich lege auch die Reihenfolge fest. Das hat den großen Vorteil, dass ich mir jede einzelne Frage wirklich anschauen kann: Ist sie belastbar? Hält sie der Nachfrage stand? Bringt sie mich im Gespräch weiter? Das merke ich nur, wenn ich die Fragen tatsächlich ausformuliere. Und: Keine Angst vor geschlossenen Fragen. Auch wenn man die mit Ja oder Nein beantworten könnte, passiert das in der Realität selten. Oft bekommt man eine konzentriertere Antwort als bei offenen Fragen.

Aber dann ist man doch gar nicht mehr offen für das Gespräch?

Den Einwand höre ich oft. Natürlich muss man zuhören und offenbleiben. Aber ich würde sagen, 70 Prozent der Interviews sind vorhersehbar – im positiven Sinne. Und ich habe dann die Sicherheit: Auch wenn ein Gast ausschweift, finde ich wieder zurück zu meinem Konzept. Es geht letztlich um Führung. Durch eine gute Vorbereitung strahlt man auch eine ganz andere Sicherheit aus.

Und wenn etwas schiefgeht, kann man immer noch schneiden…

So ranzugehen, würde ich nicht empfehlen. Viele denken: Ich frage mal bunt in der Gegend rum, irgendetwas Spannendes wird schon kommen. Das klappt nicht immer und man sitzt ewig im Schnitt. Ich empfehle, das Interview so zu führen, als wäre es live. Und natürlich darf man die Fragen den Gästen nicht vorab geben.

Warum?

Die bereiten sich dann akribisch vor, überlegen sich Antworten oder nehmen im schlimmsten Fall sogar Spickzettel mit ins Gespräch. Das zerstört jede Gesprächsatmosphäre.

Welchen Fehler sollte man als Podcast-Host unbedingt vermeiden?

Auf keinen Fall sollte man den Gast sich selbst vorstellen lassen. Das klappt nie. Die Folge ist ein total verlaberter Einstieg. Und ich finde es auch viel höflicher, den Gast selbst vorzustellen. Schließlich ist der Host auch der Gastgeber.

Aber wie steigt man stattdessen gut in einen Podcast ein?

Die erste Frage sollte überraschen, vielleicht sogar provozieren, auf jeden Fall das Wichtigste nach vorne holen. Da sollte eine Idee drinstecken. Und sie sollte keine lange Antwort produzieren.